Über Prof. Dr. Theodor Heuss

Kindheit und Erziehung

Am 31.01.1884 wird Theodor Heuss als 3. Sohn von Louis und Elisabeth Heuss in dem kleinen Ort Brackenheim bei Heilbronn geboren. Die Eltern sind beide im Jahr 1853 geboren und der Vater, Louis Heuss, ist als Regierungsbaumeister tätig. Seine Geschwister Hermann und Ludwig sind zwei und drei Jahre älter als Theodor. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebt er in seinem Geburtsort, einer 1500 Seelengemeinde, die ohne jegliche Industrie und Infrastruktur ist. Die Familie gilt als sehr wohlhabend. Theodor Heuss beschreibt sein Geburtshaus später als „klobigen Renaissance Bau“.

Er ist ein braves Kind, das fleißig lernt, und er erträgt die kleinen Nachteile gegenüber seinen Brüdern, zum Beispiel das Abtragen der Kleidung, geduldig. Trotz ihrer hohen sozialen Stellung hat die Familie engen Kontakt zu Bauern und Handwerkern. Der Vater zählt zur politischen Opposition. Dies ist untypisch für die damalige Zeit, dass jemand aus dem Bildungsbürgertum demokratische Interessen vertritt. Durch das Engagement für Sozialpolitik und Demokratie des Vaters wird Theodor Heuss von frühester Kindheit an geprägt. Im Jahr 1890 wird der Vater nach Heilbronn versetzt, und die Familie zieht um.

Theodor Heuss wächst so in einer Familie auf, die das demokratische Bewusstsein der Revolution von 1848 tradiert. Dieser demokratische bildungsbürgerliche Einfluss ist wichtig für die Sozialisation von Theodor Heuss.

Quellen: Theodor Heuss, Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen, Tübingen 1953 S. 35, 47, 53 – 60, Theodor Heuss-Heft, Deutschland und Europa, Bd. 26, hg. Landeszentrale für politische Bildung, Baden-Württemberg, 1993, S. 5

Schulzeit

Nach dem 2-jährigen Besuch der Volksschule (heute Grundschule) besucht Theodor Heuss das humanistische Karls-Gymnasium in Heilbronn, das heute nach ihm benannt ist. Er ist ein guter Schüler, der an vielem Interesse zeigt, zum Beispiel an Geräteturnen und an Gedichten und Prosa. Theodor Heuss sitzt als einziger der Klasse zweimal im sogenannten Karzer, obwohl er die Schule mag. Die Tatsache, dass Theodor Heuss die Schule nicht als Zwang sieht, macht ihn zu einem guten Schüler.

Ab 1899 fängt der inzwischen 15-jährige Theodor an, die Schülerzeitung „Demokrit“ mitzugestalten, d .h. eigentlich ist es „seine“ Zeitung, da er sehr viel Zeit in diese Arbeit steckt. Hier liegen bereits die Anfänge seiner umfangreichen späteren publizistischen Tätigkeit.

Theodor Heuss macht als Drittbester seiner Klasse das Abitur.

Bei der Abschlussfahrt, die offensichtlich schon damals von vielem Alkoholgenuss begleitet war, stürzt Theodor Heuss so unglücklich, dass er eine Schulterluxation erleidet. Diese Verletzung ist insofern wichtig für den weiteren Werdegang von Theodor Heuss, da er aufgrund seiner Verletzung nicht – wie beabsichtigt – in eine der schlagenden Verbindungen in der Universität Tübingen eintreten kann, die wiederum der „Nährboden“ für spätere Karrieren in Wirtschaft und Verwaltung ist.[1]

Auch erspart ihm diese Verletzung die Militärzeit sowie den späteren Kriegsdienst während des 1. Weltkriegs Theodor Heuss bleiben daher Erfahrungen erspart, die viele seiner Altersgenossen maßgeblich prägen.

Sein Verhältnis zu den Lehrern kennzeichnet, dass für ihn Lehrer natürliche und institutionelle Feinde sind, die mit allen erlaubten Mitteln geärgert werden dürfen. Auch wenn es unter seinen Lehrern einige sehr tüchtige Pädagogen gibt, ist keiner darunter, der ihm imponiert. Sein Vater ist ihnen gegenüber immer überlegen. Neben den Schulfächern studiert Theodor Heuss auch die Natur der Lehrer, ihre Menschlichkeit. „Der Lehrer als Lernstoff“:[2]

Quellen: [1]W. Stöckle, Das deutsche Kaiserreich, Ansichtskarten und Texte aus der wilhelminischen Zeit 1888 – 1918, Stuttgart 1985, S. 27 und 72; sowie [2] Theodor Heuss, Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen, Tübingen 1953, S. 70

Begegnungen mit Friedrich Naumann

1902 trifft Theodor Heuss bei einer Delegiertentagung des „Nationalsozialistischen Vereins“ auf Friedrich Naumann. Heuss hat Interesse an sozialpolitischen Fragen, wie zum Beispiel die Verknüpfung von Demokratie und Kaiserreich oder der politischen Konservierung des Gegebenen. Er fühlt sich von den politischen und ethischen Vorstellungen Friedrich Naumanns und seiner Zeitschrift „Die Hilfe“ angesprochen. Die Zeitschrift befasst sich mit Politik, Literatur und Kunst.

 

Studium in München und Berlin

Theodor Heuss Erinnerungen an seine Unizeit sind sehr zwiespältig. Anders als seine Schulkameraden beginnt er sein Studium nicht in Tübingen oder Heilbronn, sondern in München. Er studiert am Anfang seiner Mutter zuliebe, was er später als Selbstbetrug bezeichnet. Doch nachdem er für sich selbst abwägt, welche Kurse und Lehrer sinnnvoll seien, erarbeitet er einen Plan, nach dem er am meisten Kurse belegen kann. „Ich will eben so viel wie möglich mitnehmen, obwohl ich kein Streber bin,“ sagt Theodor Heuss dazu [1].

Er belegt Nationalökonomie, Staatslehre, Philosophie, Historie, Kunstgeschichte und Literatur. Trotz seines jungen Alters fühlt er sich in der Lage, seine Lehrer zu beurteilen, was ein Zeichen für ausgeprägtes Selbstbewusstsein ist.

Einige bezeichnet er schon fast als unfähig und meidet ihre Kurse. Von anderen hingegen sagt er, dass sie ihn für sein Leben beeindruckt haben, wie zum Beispiel Lujo Brentano, der ein liberaldenkender Nationalökonom war. Theodor Heuss bewundert vor allem Brentanos angriffslustiges Wesen, seine Wortgewandtheit und sein polemisches Temperament, welche ihm viele Kontroversen, sei es auf politischer oder wissenschaftlicher Ebene, einbringt.

Quellen: [1] Theodor Heuss, Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen, Tübingen 1953; S. 259 – 293

 

Im dritten Semester wechselt Theodor Heuss nach Berlin, um dort weiter zu studieren.

Dies hat 2 Gründe:

1. Friedrich Naumann wohnt in Berlin,

2. In Preußen sind Landtagswahlen, Friedrich Naumann kandidiert für die Nationalsoziale Partei und Theodor Heuss unterstützt ihn im Wahlkampf.

1903: Ende Oktober unterstützt Theodor Heuss, während er seine Vorlesungen schwänzt, Friedrich Naumann bei dessen Wahlkampf. Seine Hilfe besteht im Wesentlichen darin, Kuverts zu beschreiben und „Werbung“ für eine Wahlversammlung zu betreiben. Da Theodor Heuss aus dem gutbürgerlichem Milieu stammt, erfährt er erstmalig während dieser Unterstützung Friedrich Naumanns die schwierigen Lebensbedingungen der Arbeiterschaft. Eine weitere Neuerkenntnis stellt für ihn die Wohnbauweise in einer solch großen Stadt wie Berlin dar: Kleine, hohe Höfe und Hinterhäuser, die vier-bis fünfstöckig sind. Dort hat er mehr von der deutschen Geschichte mitbekommen, als wenn er die Vorlesungen besucht hätte, da diese Zeit voller Spannungen war. Trotz der aktiven Unterstützung durch Theodor Heuss und vieler anderer, wird Friedrich Naumann nicht in den Landtag gewählt.

Während dieser Zeit kümmert sich Theodor Heuss kaum um sein Studium, da er Berlin als sehr hektisch empfindet, was dazu führt, dass er nicht die innere Ruhe zum Lernen findet. Er beschäftigt sich intensiv mit Politik. „Er nimmt alles in sich auf, was Berlin zu bieten hat – Museen, Ausstellungen, Theater, Versammlungen“. Politisch und gesellschaftlich trifft sich alles in Berlin und Theodor Heuss lernt Prominente kennen. Prägenden Eindruck hinterläßt William Booth bei ihm. Der Gründer der Heilsarmee vereint Macht und Liebe in sich. Hier in Berlin findet Theodor Heuss die Zeit, Goethes Prosa zu lesen, die ihn – so er selbst – „erwachsen werden lässt“. Er fängt an, schriftstellerisch tätig zu werden und verdient damit auch Geld. Obwohl es ihm finanziell gut geht, wohnt Theodor Heuss in einer „schlechten Gegend“. Nicht – wie man meinen könnte – aus sozialen Studien, sondern weil er sich vorher unzureichend informiert hat und seinen Grundsatz, nie eine Wohnung zu kündigen, nicht brechen kann.

Sein Studium rückt zunächst immer mehr in den Hintergrund. Nicht einmal am studentischen Leben nimmt er teil, da ihm die fachwissenschaftlichen Vereinigungen zu langweilig und die Studienkollegen zu theoretisch sind. Somit entstehen auch keine Freundschaften. Aber er freundet sich mit jungen Handwerkern aus Stuttgart und Heilbronn an. Später jedoch besucht er viele Vorlesungen von Wirtschaftswissenschaftlern, die über politische Ansätze referieren und ihn zum Nachdenken anregen. Erneut trifft er auf Friedrich Naumann, der ihn zu einem Treffen mit politisch Interessierten und Engagierten aus dem „Nationalsozialen Verein“ einlädt.

In der Schlussphase seines Studiums verlässt er sein Elternhaus und nimmt sich für mehrere Wochen bei dem Kastellan des Schlosses in Dachau ein Zimmer, um dort in Ruhe seine Doktorarbeit zu schreiben. In dieser Zeit besucht er auch keine Vorlesungen mehr, ist aber trotzdem als Student des 6. Semesters eingeschrieben. An seiner Doktorarbeit mit dem Titel „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn“ schreibt er nur drei Wochen, jeden Tag von 08:00 – 12:00 Uhr, 14:00 – 18:00 Uhr und 20:00 – 24:00 Uhr.

Als er dann fertig ist , löst sich endlich seine innere Anspannung. Kurze Zeit später geht er erneut nach Berlin.
Die Studienjahre sind prägend für Theodor Heuss. Sein Interesse für VWL und Kunst, für Geschichte und Literatur, zeigt das breite Spektrum der Bildung von Theodor Heuss, der nicht „nur“ Politiker im weiteren Leben ist. Auch sein Weg in die Politik und die Publizistik zeichnet sich während der Studienjahre ab. Die Begegnung mit Friedrich Naumann bestimmt das weitere Leben von Theodor Heuss. Für Theodor Heuss stellt sich Friedrich Naumann den „ungeheueren politischen, sozialen und geistigen Spannungen des damaligen Deutschlands“, die durch den dynamischen Wandel zur Industriegesellschaft und dem Machtanspruch des deutschen Nationalstaates entstanden.

Quellen: Theodor Heuss, Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen, Tübingen 1953, S.295 – 321,. Hamm-Brücher, Hildegard, Rudolph,Hermann: Theodor Heuss. Eine Bildbiographie, Stuttgart 1983, S. 45 f.

Anhang

Zu Beginn des 19 . Jahrhunderts gehen nur wenige Schüler auf ein Gymnasium . In den größeren Städten wie München, Duisburg oder Berlin liegt der prozentuale Anteil bei 7 – 12 Prozent. Ferner gehen davon wiederum nur ein geringer Teil auf ein humanistisches Gymnasium . Das sind etwas mehr als 1 Prozent der 18 – Jährigen. Vor allem die humanistischen Gymnasien stellen einen hohen Anforderungsgrad. Es ist nicht so, dass man sich dort auf ein Fachgebiet spezialisiert, hier werden sogenannte “ Generalisten “ ausgebildet . Theodor Heuss gehört auch zu den wenigen Schülern, die auf ein solches Gymnasium gehen. Durch die dort umfassend erlangte Allgemeinbildung, angefangen bei klassisch, historischen Sprachen, über deutsche Literatur bis hin zu naturwissenschaftlichen Fächern, kann man Theodor Heuss zur Elitegruppe der damaligen Schüler zählen .

Quelle: Wehler , Hans – Ulrich,
Deutsche Gesellschaftsgeschichte ; Bd. 3: 1849 – 1914 ,
München 1995, S. 1201 – 1206